Stadtpolitik braucht neue Kraft

Plädoyer der Fachkommission Stadtentwicklung der Heinrich-Böll-Stiftung

 

 

  1. Deutschland hat ein dicht geknüpftes Städtenetz. 81% aller Bundesbürger leben in Städten und verstädterten Regionen, 48% davon in Städten mit über 500.000 Einwohnern, 33% in mittelstark besiedelten Gebieten. Nur 19% leben in ländlichen Gebieten.

 

  1. Die Vitalität und die Leistungskraft unserer Städte, das dichte und vielfältige Städtenetz und das hohe Maß an kultureller und insbesondere baukultureller Tradition sind eine wichtige Grundlage für die hohe Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt und ihrer Region.

 

  1. Die Förderung von Städtebau, Baukultur und Denkmalschutz hat eine jahrzehntelange Tradition, die nach der Wende sehr engagiert auch auf die Innenstädte in Ostdeutschland übertragen wurde. Auch der Wohnungsbau wurde seit Kriegsende umfassend direkt und indirekt gefördert.

 

  1. Durch das Zusammentreffen von Deindustrialisierung, kommunaler Finanznot und demografischem und sozialem Wandel durchleben die Städte dramatische Umbrüche, die sich in den nächsten Jahren verstärken werden und die in ihren Auswirkungen und Handlungsbedarfen noch zu wenig bewusst sind. Ostdeutschland erfährt die wirtschaftlichen Umbrüche und das Schrumpfen der Städte seit der Wende in voller Härte. In Westdeutschland geht es um differenziertere und längerfristige Prozesse.

 

  1. Städte sind entscheidende ökonomische und soziale Integrationsträger. Das war in der Phase der Industrialisierung so und ist auch heute notwendig. In den Städten finden die Menschen die sozialen, kulturellen, staatlichen und wirtschaftlichen Netze und Angebote, die sie für die Organisation ihres Alltags ebenso brauchen wie für ihre kreative Selbstentfaltung. Werden unsere Städte und Stadtregionen nachhaltig geschwächt, sinkt auch die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Darum braucht Stadtpolitik besondere Beachtung und Unterstützung von Bund und Ländern.

 

 

A. Wirtschaftliche Umbrüche und Standortkonkurrenzen

 

  1. Während das Grundgesetz und das Raumordnungsrecht gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands fordert, verfestigen und verstärken sich die regionalen Ungleichgewichte. Im Westen stehen den starken Wachstumsregionen (München, Stuttgart, entlang der Rheinschiene und im Raum Hamburg) stagnierende Regionen in Teilen von Nord- und Westdeutschland gegenüber. Ostdeutschland bildet - von einzelnen stabilen Wirtschaftskernen abgesehen - durchweg eine wirtschaftsschwache Großregion mit extrem hoher Arbeitslosigkeit und fortdauernder Abwanderung. Viele Klein- und Mittelstädte ebenso wie der ländliche Raum sind hier bereits „Entleerungsregionen".

 

  1. Alle Städte und Regionen unterliegen einer immer härteren wirtschaftlichen Standortkonkurrenz, und zwar gleichermaßen global, EU-weit, national und regional, speziell auch in der Stadt-Umland-Beziehung. Während in vielen Städten der Prozess der Deindustrialisierung durch Produktspezialisierungen, innovative Technologien und neue urbane Dienstleistungen kompensiert werden kann, steigt andererseits die Zahl der Städte, die keine selbst tragende Wirtschaftskraft mehr haben oder sie durch Unternehmensentscheidungen plötzlich verlieren könnten.

 

  1. Auch die öffentliche Standortpolitik bedroht die wirtschaftliche Selbstständigkeit vieler Städte. Öffentliche Verwaltungen werden zusammengelegt. Bahn und Post organisieren ihre Wirtschaftspotenziale neu. Die Bundeswehr wird bis 2010 200 Militärstandorte auflösen oder stark verkleinern. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit der betroffenen Städte und Regionen.

 

  1. Ein besonderes Problem ist die massive Bedrängung und Verdrängung des lokalen und regionalen Kleingewerbes durch Konzerne, Filialisierung, Franchising, Lieferabhängigkeiten und Preisdumping. Der selbstständige städtische Einzelhandel stirbt ab unter der Konkurrenz der großen Handelsketten, Shopping malls und Verbrauchermärkte in den Städten selbst und an den Peripherien. Eigenständiges Wirtschaftsbürgertum und damit verbundener eigenständiger innerstädtischer Grundbesitz sind aber konstitutiv für Klein- und Mittelstädte. Zusätzlich behindern die Einzelhandelsketten die Lebensfähigkeit kleinteiliger regionaler Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion und zerstören so regionale Wirtschaftkreisläufe zwischen den Städten und dem ländlichen Raum.

 

B. Demografischer und sozialer Wandel

 

  1. Demografische und soziale Veränderungen sowie neue Lebensweisen und Familienformen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte. In den nächsten Jahrzehnten ist von einem kontinuierlichen Bevölkerungsrückgang auszugehen. Unter gleich bleibenden Bedingungen wird die Einwohnerzahl der Bundesrepublik von derzeit 82 Millionen auf höchstens 70 Millionen im Jahr 2050 zurückgehen. Der Bevölkerungsrückgang geht einher mit zunehmender Alterung, Kinderlosigkeit und Singularisierung der Gesellschaft.

 

  1. Für die ostdeutschen Städte ist der wirtschaftliche und demografische Wandel längst spürbarer Alltag. Viele Städte haben seit der Wende 15 bis 20% ihrer Einwohner verloren durch Geburtenrückgang, arbeitsmarktbedingte Abwanderung und durch Stadt-Umland-Wanderung. Die Bevölkerungsprognosen sagen den meisten Städten ein Anhalten des Bevölkerungsrückgangs voraus. 1,3 Millionen Wohnungen stehen derzeit leer, wovon im Programm Stadtumbau Ost 350.000 bis 2008 abgerissen werden. Auf viele westdeutsche Städte und Regionen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ebenfalls Schrumpfungsprozesse zukommen, aber nirgendwo so massiv wie im Osten.

 

  1. Bis 2050 werden in Deutschland 36% der Bevölkerung älter als 60 Jahre sein. Die Nachfrage älterer Menschen wird auf allen Wohnungsmärkten an Bedeutung gewinnen. Für ältere Menschen wird die Qualität der Wohnung und der Wohnumgebung und das Eingebundensein in Nachbarschaften immer mehr zur Voraussetzung für eine selbstständige Lebensführung werden. Der traditionelle Kleinfamilienhaushalt, auf den Wohnungsbau und städtische Infrastruktur immer noch ausgerichtet sind, wird nur noch eine Minderheit ausmachen. Mit zunehmender Vielfalt von Haushaltstypen und Lebensformen werden die Anforderungen an Wohnung, Stadtteil, Siedlung und Region differenzierter.

 

  1.  Die soziale Kohäsion der Stadtgesellschaften steht durch verschiedene Entwicklungen vor besonderen Herausforderungen: Die Einkommensungleichheit vergrößert sich, die ethnische Zusammensetzung der Städte wird vielfältiger, viele Stadtbewohner leben in „neuer Armut“. Die Möglichkeiten zur Steuerung der sozialräumlichen Strukturen nehmen als Folge der Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände und des Auslaufens von Belegungsbindungen ab. Dadurch verstärkt sich die Segregation und es entstehen Orte der sozialen Ausgrenzung. Vielfach ist diese Entwicklung überlagert von ethnischer Segregation. Das Entstehen von Sackgassen der sozialen Mobilität würde eine dauerhafte Benachteiligung insbesondere von Jugendlichen und ethnischen Minderheiten bedeuten. Segregation ist dann ein Problem, wenn sie zum unfreiwilligen Zusammenleben marginalisierter Bevölkerungsgruppen führt. Migranten können zum kulturellen und ökonomischen Reichtum der Städte beitragen, wenn die kommunale Integrationspolitik ihre soziale Ausgrenzung verhindert. Bessere Erfolge im Bildungssystem und zukunftsorientierte berufliche Qualifikationen bilden dafür den Schlüssel.

 

 

C.      Suburbanisierung und Schwächung der Kernstädte

 

  1. Materieller Wohlstand und die weite Verbreitung des Autos haben es immer mehr Bevölkerungskreisen ermöglicht, den Wunsch nach einem Einfamilienhaus mit Garten an den Peripherien der Städte zu realisieren. Gewerbe und Verbrauchermärkte siedeln ebenfalls bevorzugt an autogerechten, peripheren Verkehrsknoten. Der forcierte Straßenbau erzeugt immer wieder neue Suburbanisierungsstandorte für Wohnen, Gewerbe und Einzelhandel. So werden die klassischen Funktionen der Städte immer mehr nach außen an die Peripherien verlagert. Durch steigenden Flächenverbrauch für Wohnen, Gewerbe und Verkehr haben sich die Ballungsräume und die Stadtperipherien vielfach zu einem wenig strukturierten Siedlungsbrei entwickelt.

 

  1. Weitgehend unabhängig von der jeweiligen regionalen Wirtschaftskraft vollzieht sich in Deutschland eine zweifache Umschichtung von Siedlungsschwerpunkten. Einerseits verlassen nach wie vor viele Bewohner die Kernstädte - insbesondere einkommensstabile Familien mit Kindern. Andererseits ziehen Menschen aus den ländlichen Regionen in die Stadtperipherien. Beide - Stadt- wie Landflüchtlinge siedeln bevorzugt in schnell wachsenden Siedlungen, die weder einen ländlichen noch einen städtischen Charakter haben. Das bedeutet fortdauernde Schwächung der Städte ebenso wie eine Schwächung des ländlichen Raums. Der Einwohnerverlust der Kernstädte führt auch zu sinkendem Steueraufkommen und zur sinkenden Auslastung vorhandener Infrastrukturen.

 

  1. Die Lebensqualität in den Städten ist teilweise stark eingeschränkt und wird durch die Suburbanisierung weiter verschlechtert. Verkehrs- und Umweltbelastungen, Lärm, Unfallgefahren, Grün- und Infrastrukturdefizite und eingeschränkte Wohn- und Wohnumfeldqualitäten, aber auch Angst vor Gewalt, Kriminalität, Drogen und  ein soziales Unbehagen in der Nachbarschaft bewegen eine Vielzahl von Stadtbürgern zur Stadtflucht oder zum Verlassen bestimmter Stadtviertel.

 

  1. Trotz stagnierender Bevölkerungsentwicklung wächst die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland um mehr als 100 ha täglich. Dies ist nicht nur ein städtebauliches, verkehrliches und ökologisches, sondern in steigendem Maße auch ein volkswirtschaftliches Problem. Die Kosten-Nutzen-Relation für Infrastruktur wird immer schlechter. Dies gilt für den Bau und Unterhalt von Straßen und öffentlichen Verkehrsmitteln, für Ver- und Entsorgungsanlagen und ebenso für die sozialen Infrastrukturen wie Schulen, Kitas, Sozial- und Gesundheitsdienste.

 

  1. In 2001 entfielen auf jeden Einwohner 534 m² Siedlungs- und Verkehrsfläche. Allein zwischen 1997 und 2001 wuchs der Verbrauch an Siedlungsfläche um 4,5% an, obwohl die Bevölkerungszahl fast unverändert blieb. Selbst wenn es gelingt, das rot-grüne Nachhaltigkeitsziel der Reduktion des Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche von 129 ha/Tag im Jahr 2000 auf 30 ha/Tag bis 2020 zu reduzieren, wird der einwohnerspezifische Flächenverbrauch um weitere 80m² pro Kopf steigen. Dies bedeutet einen immensen weiteren Anstieg an Infrastrukturkosten für die privaten Haushalte und die Kommunen.

 

  1. Die massive Suburbanisierung in den Stadtregionen ist in hohem Maße durch Stadtentwicklungspolitik und Städtebau sowie durch staatliches Laissez-faire mitbestimmt. Grundsätze des städtebaulichen Funktionalismus (Trennung der Funktionen, Abschottung der Nutzungen gegen Fremdes), die in der Zeit der Industrialisierung Berechtigung hatten, bestimmen allen Veränderungen zum Trotz nach wie vor die rechtlichen Planungsvorgaben, die Vergabe von Fördermitteln und Subventionen und das städtebauliche Alltagsgeschäft.

 

 

D.      Anhaltende Finanzschwäche der Kommunen

 

  1. Die Steuereinnahmen der Gemeinden gingen 2003 das dritte Jahr in Folge zurück. Am stärksten war der Rückgang der Gewerbesteuer. Aber auch der Einkommensteueranteil und der Umsatzsteueranteil sind kontinuierlich gesunken. Der Anteil der gemeindlichen Steuereinnahmen am gesamtstaatlichen Steueraufkommen ist von 14% in 1980 auf 11,5% in 2003 gesunken. Gleichzeitig sind auch die Finanzzuweisungen um 5% gegenüber 2002 gesunken. Das Finanzierungsdefizit der Gemeinden, das überwiegend durch Neuverschuldung abgedeckt werden musste, betrug in 2003 knapp 10 Mrd. €.

 

  1. Auf der Ausgabenseite drücken die Kommunen insbesondere die hohen Personalkosten, mit durchschnittlich 27% der Ausgaben, und die Ausgaben für Sozialleistungen, die ca. 20% der Kommunaletats binden und in den letzten Jahren ständig weiter angestiegen waren.

Hauptproblem der Kommunen ist die häufige Überwälzung von Aufgaben durch den Bund und die Länder, ohne das Konnexitätsprinzip („Wer bestellt soll auch zahlen“) einzuhalten.

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  1. Seit Jahren können die Kommunen ihre Haushaltsprobleme nur durch Kürzungen bei den Sachinvestitionen - im wesentlichen Baumaßnahmen und Vermögenserwerb - kompensieren. Dementsprechend gingen die Sachinvestitionen seit 1992 um ein Drittel zurück von 33,5 Mrd. € auf heute unter 22 Mrd. €. Der Instandhaltungsrückstau der kommunalen Infrastruktur nimmt zunehmend bedrohliche Formen an und fehlt seinerseits der Bauwirtschaft als Arbeitsfeld.

 

  1. Die Gemeindefinanzreform 2003 ist gescheitert und auf eine Absenkung der Gewerbesteuerumlage reduziert worden. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe dürfte für die Kommunen, insbesondere für die Städte eine Entlastung bringen. Sie kann aber auf keinen Fall als Ersatz für die erforderliche Stabilisierung der kommunalen Finanzen gewertet werden.

 

 

 

E.       Handlungsbedarfe

 

Bund, Länder und EU müssen neben den Anstrengungen zur Reform allgemeiner gesellschaftlicher Strukturen immer auch ein besonderes Augenmerk auf die Städte richten. Die Milliardentransfers von städtischer Steuerkraft in die Subventionierung von landwirtschaftlicher Produktion und Verkehr in der Fläche müssen aufhören, ebenso wie die Rückverlagerung der sozialen Ansprüche und Probleme aus der Fläche in die Städte,. Die politische Verantwortung für das Thema "Stadtpolitik" muss darum in neuer Weise auf allen politischen Ebenen eingefordert und gestärkt werden. Das heißt konkret:

 

 

(1) Stadtpolitik als Aufgabe in Bund und in den EU-Strukturfonds stärken

 

Die bundesstaatliche Zuständigkeit für Raumordnung, Siedlungspolitik und Wohnungspolitik steht in der „Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" aktuell zur Disposition. Im Ergebnis könnte die Verantwortung für die Wohnversorgung in die Hände der Länder übergehen. Die Bundespolitik muss aber verstärkt Verantwortung für Raumordnung und Stadtpolitik übernehmen und hier sinnvolle Prioritäten setzen. Auch für die in den letzten Jahren entstandenen urbanen Landschaften und Stadtregionen sollten neue Planungskonzepte und Modelle entwickelt werden.

 

Bei der Ausgestaltung der EU-Strukturfonds für die Zeit ab 2006 ist bislang das Thema "Stadtpolitik" als eigenständiger Baustein verloren gegangen. Hier muss aktiv für die Sicherung einer Mindestquote der künftigen Strukturfondsmittel für integrierte stadtpolitische Programme wie das bisher sehr erfolgreiche URBAN-Programm gestritten werden.

 

2) Gemeindefinanzen reformieren und stärken

 

Nach wie vor steht eine grundlegende Gemeindefinanzreform aus. Diese muss auf der politischen Agenda bleiben und ist in der nächsten Legislaturperiode erneut in Angriff zu nehmen. Die finanzielle Belastungssituation ist - ungeachtet der regionalen und lokalen Unterschiede - in den Städten besonders ausgeprägt. Darauf muss die Reform der Gemeindefinanzen eine Antwort geben.

 

Mit Blick auf die wirtschaftsbezogene Gemeindesteuer plädieren wir für eine Neubelebung der Gewerbesteuer. Die Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen und die Verbreitung der Bemessungsgrundlage bei gleichzeitiger Senkung der Hebesätze ist weiterhin notwendig.

 

Darüber hinaus wollen wir ausloten, inwieweit auch die Einkommensteuer Ansatzpunkte für eine stadtpolitisch sinnvolle Kommunalfinanzreform bietet – etwa durch die Einführung eines Hebesatzrechtes oder eine Neuaufteilung. Schließlich sind die Zentralörtlichkeit der Städte und ihre Versorgungsfunktionen für das Umland durch die Finanzausgleichsregelungen der Bundesländer besser zu berücksichtigen.

 

Als dritten Baustein brauchen die Gemeinden endlich die längst diskutierte Reform der Besteuerung von Grund und Boden. Dazu ist die Ablösung der bisherigen Einheitswerte durch eine neue Bemessungsgrundlage nötig, die Bodenwert und Flächenverbrauch angemessen berücksichtigt. Die Grundsteuer muss eine einfach zu handhabende und aufkommensstabile Steuer werden. Sie sollte den Kommunen Steuermehreinnahmen ermöglichen und erfordert Hebesatzrechte, die bebaubares Bauland mobilisieren.

 

Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam darauf hinwirken, dass die konsumtiven Ausgaben wirksam begrenzt werden, insbesondere die Kosten für den Verwaltungsaufwand. Kurzfristig wirkende Hilfen könnten den Kommunen als Investitionspauschale zur Verfügung gestellt werden. Falls sich herausstellt, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe keine klare Entlastung für die Kommunen bringt, dann muss hier nachgebessert werden. Bund und Länder müssen das Konnexitätsprinzip strikt beachten. Dies gilt aktuell besonders für die Kosten für Bildung und Kinderbetreuung.

 

Die interkommunale Kooperation in den Stadtregionen und zwischen den Städten ist zu intensivieren. Kostentreibende Bürgermeisterkonkurrenzen sind abzubauen. Die Vergabe von zweckgebundenen Investitionszuweisungen der Länder kann dazu an den Nachweis von interkommunalen Abstimmungen gebunden werden. Denkbar ist die Förderung von Regionalverbänden durch die Länder.

 

(3) Die Wirtschaftskraft der Städte stärken

 

Das Werben und Hoffen auf eine Unternehmensansiedlung wird immer seltener zur erfolgreichen Strategie werden. Immer wichtiger wird es, die eigenen Potenziale zu aktivieren, um daraus auch wirtschaftlichen Nutzen für die Stadt zu ziehen.

 

Auch die Wirtschaftsförderung von EU, Bund und Ländern muss sich zukünftig mehr als heute auf das „human capital“ in den Städten konzentrieren und mit Bildungsanstrengungen auf allen Ebenen verzahnt werden.

 

Themenbezogene Wettbewerbe und Leitprojekte wie Innoregio, BioRegio, "Mobilität in Ballungsräumen" bringen wichtige Impulse. So können unterschiedliche und regionalspezifische Identitätsmerkmale und Technologiecluster gefördert und entwickelt werden.

 

Den Städten sind größere Spielräume zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Einzelhandels und des mittelständischen Gewerbes einzuräumen, die nicht nur planerische, sondern auch regulative Instrumente umfassen (Ladenschluss, Handwerksordnung, Bauweisen, Nutzungsmischung etc.), um lokale und auch ethnische Ökonomien zu stärken.

 

Den Städten muss mit der sie umgebenden Region ein stärkeres Miteinander im Bereich der Wirtschaft, des Verkehrs und der Kultur ermöglicht werden, was auch regionale Prioritätensetzung und regionale Finanztransfers ermöglicht.

 

Öffentliche Aufträge können - ohne das Wettbewerbsrecht zu verletzen - mit Anforderungen an innovative und auf Nachhaltigkeit zielende Produktentwicklungen verknüpft werden, die wiederum die eigene Wirtschaftregion stärken.

 

 

(4) Den sozialen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft(en) fördern

 

Um Stabilität und sozialen Zusammenhalt in den „benachteiligten“ Quartieren zu erreichen, müssen Bund, Länder und Gemeinden die Instrumente für eine integrierte Quartierspolitik und für die Unterstützung von zivilgesellschaftlichem Engagement in wirksamerem Umfang als bisher bereitstellen.

 

Zur Beschäftigung und Integration von Langzeitarbeitslosen werden auf Dauer angelegte kommunale und gemeinnützige Betriebe gebraucht, z. B. für Nachbarschaftsdienste, Reparaturarbeiten, Grünpflege und soziokulturelle Projekte.

 

Die kommunale Wohnungswirtschaft muss in neuer Weise in die Pflicht genommen werden für die Wohnversorgung von bedürftigen Haushalten. Die Städte sollten gemeinsam mit ihren Wohnungsunternehmen und den Wohlfahrtsträgern stadtweite Konzepte einer sozialen Wohnraumversorgung erarbeiten und fortschreiben.

 

Schulen und Kindergärten müssen als Orte der Integration aufgewertet werden.

 

Stadtteile mit hohem Migrantenanteil brauchen Angebote zur Integration und zur multikulturellen Kooperation ebenso wie Raum für die Pflege eigener Kultur und Religion.

 

 

(5) Stadt als Lebens- und Wohnort stärken - Suburbanisierung einschränken

 

Das Leitbild „Stadt als Lebens- und Wohnort" muss neu positiv bestimmt und dem Bild des "Eigenheims im Grünen" offensiv gegenübergestellt werden.

 

Kommunalpolitik, Bürgerschaft und Hausbesitzer müssen konkret in den Stadtteilen prüfen, was mit vertretbarem Aufwand geleistet werden kann, um die Lebens- und Aufenthaltsqualität städtischer Quartiere für Wohnen, Arbeit und Freizeit zu verbessern, insbesondere für ältere Menschen und das Zusammenleben mit Kindern. Dafür müssen Bürger aktiviert und neuer Nachbarschaftsgeist geweckt werden.

 

Nötig sind Maßnahmen gegen Lärm, Unfallgefahren, Dreck und Kriminalität, privater und städtischer Raum für Grün, Spiel, Sport und Erholung muss qualifiziert werden. Die Städte brauchen endlich offensivere Strategien zur Begrenzung des Autoverkehrs, Verkehrlärms und der Stellplätze. Der Ausbau eines attraktiven öffentlichen Nahverkehrs, von Fuß- und Fahrradwegenetzen und moderne, intelligente Mobilitätskonzepte wie Citymaut, Car-Sharing, Call-a-bike, Rufbusse etc. sind dringend erforderlich.

 

Politisch sind eine Reihe von Maßnahmen nötig, wie insbesondere der Abbau von Subventionen, die die Zersiedelung begünstigen und ein neues Maß an Verbindlichkeit für eine Raumordnung, die den zunehmenden kommunalen Konkurrenzen bei sinkenden Einwohnerzahlen Einhalt gebietet.

 

Ohne eine Verringerung des Preisgefälles zwischen Neubauland, bereits erschlossenen Grundstücken und sanierungsbedürftigen Brachflächen wird es aber kaum zu einer wirklichen Wende im Siedlungs- und Verkehrsflächenverbrauch kommen. Denkbar sind drei Modelle: die Einführung eines Handels mit Flächenausweisungsrechten, die Ausweitung der naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen auch auf den Verbrauch von Bodenfläche oder eine Neuerschließungsabgabe, deren Einnahmen für Flächenrecycling eingesetzt werden könnte.

 

 

(6) Stadtumbau und Stadtrückbau fördern

 

Das Bund-Länder-Programm "Stadtumbau Ost" ist der erste Versuch, den Strukturwandel von Städten mit Bevölkerungsrückgang zu gestalten und Wohnungsüberschüsse abzubauen. Durch die Ausrichtung des Programms auf integrierte Stadtentwicklungskonzepte wird der Versuch gemacht, städtebauliche und wohnungswirtschaftliche Belange miteinander zu verknüpfen. Allerdings wird der Stadtumbau bislang vorwiegend als wohnungswirtschaftliches Thema behandelt. Der Umgang mit Wirtschafts- und Infrastrukturbrachen bleibt der privaten und kommunalen Initiative überlassen.

 

Auch wenn die Zielkonflikte zwischen Eigentümerbelangen und städtebaulichen Ansprüchen oft nur schwer zu lösen sind, muss der Stadtrückbau noch stärker als bislang auf die Stabilisierung und die Stärkung des Wohnens in den Innenstädten und den Altbauquartieren ausgerichtet werden. Dazu müssen Wohnwertsteigerung, Wohnumfeldverbesserung und Eigentumsbildung in den innerstädtischen Quartieren gezielt vorangetrieben werden, wo nötig auch durch Entdichtung und die Schaffung von Lücken. Infrastrukturentscheidungen ebenso wie private Standortentscheidungen müssen zugunsten der Kernstädte gefällt werden.

 

Viele ostdeutsche Klein- und Mittelstädte werden keine neue wirtschaftliche Basis finden. Darum müssen für die „Entleerungsregionen“ Orte definiert werden, die auch im Rückbau bei sinkender Bevölkerung die wichtigsten regionalen Infrastrukturen aufrechterhalten, v. a. auch in den Bereichen Bildung, Gesundheit, soziale Dienste und öffentlicher Nahverkehr.

 

Westdeutsche Städte werden in den nächsten Jahren ebenso verstärkt auf Stadtumbau angewiesen sein - auch, wenn dies hier sehr viel langsamer erfolgen wird als in Ostdeutschland und mehr Umbau und Aufwertung als Rückbau sein werden. Neben der Wiederaufbereitung älterer Industriebrachen bestehen hier die Hauptaufgaben darin, ältere Siedlungen neuzeitlichen Wohnstandards anzupassen.

 

Der Stadtumbau erfordert kommunalpolitische Weichenstellungen, die besonders für die konkret Betroffenen, sowie auch für die ganze Stadtgesellschaft von grundlegender Bedeutung sind. Die Ziele und Maßnahmen dürfen darum nicht hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. Soll der Prozess des Stadtumbaus positiv gelingen, ist die Mobilisierung aller bürgerschaftlichen Kräfte wesentliche Voraussetzung.

 

Stadtumbau und Stadtrückbau müssen weitgehend privatwirtschaftlich erfolgen. Dennoch wird ein gewisses Maß an Förderung unabdingbar sein, v. a. auch für die Sicherung von Infrastrukturen bei rückläufiger Bevölkerung. Daraus folgt zwingend, dass andere unnötige Subventionen abgebaut und umgewidmet werden.

 

Zentrale Voraussetzung für den Stadtumbau und Rückbau ist ein Mentalitätswechsel. Bislang ist eine mentale Kontinuität festzustellen, die einseitig auf Wachstum setzt. Von zunehmender Bedeutung ist aber gerade die Auseinandersetzung mit "Nichtwachstumsprozessen" und mit „Schrumpfung“.

 

 

(7) Moderne Verwaltung und Bürgerengagement miteinander verbinden

 

Die Stadt ist Ursprungsort der demokratischen Bürgergesellschaft. Heute jedoch sind Bindungskraft und Vertrauen zwischen kommunaler Politik und Bürgerschaft so schwach ausgeprägt wie selten zuvor. Vielerorts wird mittlerweile der Ruf nach Stärkung der Zivilgesellschaft und nach ihrer intensiveren Einbindung in kommunal-staatliches Handeln laut – häufig jedoch mit dem Hintergedanken, bürgerschaftliches Engagement als Ersatz für die Defizite des Staatshandelns zu instrumentalisieren.

 

Wesentliche Aufgaben der Stadtpolitik ist die Entwicklung einer glaubwürdigen Partizipationspolitik, der es gelingt, die vorhandene Verantwortungs- und Mitwirkungsbereitschaft der Bürger für die Stadtentwicklung fruchtbar zu machen.

 

Gerade auf kommunaler Ebene muss Verwaltung neu definiert werden und vom Obrigkeitsdenken verhafteten Behörden zur Dienstleistungsverwaltung für die Stadtgesellschaft transformiert werden. Die Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts ist Voraussetzung für eine moderne Verwaltung, die die Anliegen ihrer Bürger nicht primär zu behindern, sondern zu ermöglichen sucht. Über E-Government-Angebote wird der kurze Draht zu Bürgern und Unternehmen praktisch möglich.

 

Werden die Barrieren zwischen Bürger und Verwaltung abgebaut, so kann und wird es auch gelingen, neues Bürgerengagement zu mobilisieren.

 

 

Berlin, den 14. Juli 2004

Rainer Bohne, Brigitte Dahlbender, Franziska Eichstädt-Bohlig, Andreas Feldtkeller, Klaus-Martin Groth, Klaus Habermann-Nieße, Winfried Hammann, Christine Hannemann, Hartmut Häußermann, Ilse Helbrecht, Detlev Ipsen, Martin Junkernheinrich, Brigitte Karhoff, Dieter Läpple, Maxi Malzahn, Carsten Meyer, Philipp Oswalt, Thomas Rommelspacher, Carola Scholz, Joachim Stein